Sambias Staatlichkeit ist jünger als Sambias Kirchlichkeit.
Als typischer Zentralstaat wurde Sambia 1964 unabhängig. Das Regierungs- und Administrationssystem beschränkt sich im Allgemeinen auf Lusaka und einige größere Provinzhauptstädte, doch selbst in der Hauptstadt ist die öffentliche Verwaltung sehr alt und völlig heruntergekommen. Sicherlich sind der optische Zustand der Gebäude und deren Ausstattung keine hinreichenden Indikatoren für die finanzielle Handlungsfähigkeit der Einrichtungen, dennoch fehlt augenscheinlich Geld um längst überfällige Investitionen zu tätigen. Vor allem die soziale Infrastruktur, wie das Bildungs- und Gesundheitssystem, sind seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert. Ein Hauptgrund dafür ist die Tatsache, dass die große Mehrheit der Sambier keine Steuern zahlt. Zum Teil da kein Einkommen nicht versteuert werden kann, zum Teil jedoch auch aus Überzeugung und Berechnung, da dem Staat ganz einfach Mittel und Wege zur Besteuerung des informellen Sektors fehlen. Das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates, die Einnahmen gewissenhaft zu verwalten und sinnvoll in die Entwicklung des Landes zu investieren, ist verschwindend gering. Grundsätzlich wird allen Menschen, die als Politiker oder Beamte im Dienste des Staates stehen, Machtgier und Selbstbereicherung unterstellt. Die Möglichkeit, dass zumindest vereinzelte Individuen von idealistischen Antriebskräften geleitet werden, scheint undenkbar.
Die Geschichte der Kirchen in Sambia hat ihren Ursprung Ende des 19. Jahrhunderts, als sich im Zuge des britischen Kolonialismus angelsächsische Missionare im damaligen Nordrhodesien niederließen und mit der Bibel unter dem Arm den wilden Heiden den richtigen Glauben von dem einen wahren Schöpfergott lehrten. Sambia wird seit 1996 per Verfassung als christliche Nation definiert und abgesehen von einer muslimischen und einer Bahai-Minderheit ist Sambia so durch und durch christlich, dass einem schlecht wird. Neben den Katholiken haben sich in den vergangenen 25 Jahren zunehmend anglikanische und protestantische Freikirchen, wie die Baptisten, die Methodisten, die Pfingstler, die Siebenten-Tags-Adventisten und die Presbyterianer etabliert. Doch Grenzen zwischen noch Freikirche und schon Sekte sind quasi nicht existent, sodass neben der Neuapostolische Kirche, den Zeugen Jehovas, der Branham-Bewegung und der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) unzählige weitere Abspaltungen von Abspaltungen wie Unkraut aus dem Boden schießen.
Im Gegensatz zum staatlichen Regierungs- und Verwaltungssystem erstreckt sich die kirchliche Infrastruktur spinnennetzartig über das gesamte Land. In den abgelegensten Dörfern findet man die abgefahrensten Architekturen. Wo kein Strom und kein fließend Wasser, da mit Sicherheit ein futuristisches Gotteshaus im Science-Fiction-Stil. Die größtenteils arme, ungebildete und hoffnungslose Bevölkerung ist anfällig für jegliche Arten von Heilsversprechen. Die Formel lautet: Je spektakulärer die Geschichten von Wunderheilungen und je bunter die Vorstellung des Paradieses, desto größer der Zulauf. Während Wahlkabinen leer bleiben, füllen selbst ernannte Propheten ganze Stadien mit händehebenden, zungenredenden, ekstatischen Gotteskindern und sammeln durch Massenbekehrungen Credits im Himmel.
Talentierte Redner belegen – wenn überhaupt – einige fragwürdige Seminare und erklären sich anschließend zu Pastoren von Gemeinden oder erfüllen den Willen Gottes indem sie sich selbstständig machen und mit einer modernen, noch viel wahreren Bibelauslegung einfach eine neue Konfession gründen. Die Botschaften sind trivial, polarisierend und mitunter gefährlich: Wenn ihr erstmal den Glauben habt wird euch Jesus auch Nahrung schenken! Homosexualität ist eine Krankheit, die nur im Gebet geheilt werden kann! Psychische Störungen werden durch satanische Dämonen hervorgerufen! Verhütungsmittel zu verwenden ist eine Sünde! Menschen in Sambia infizieren sich mit HIV, weil ihnen gepredigt wird, dass es eine Sünde ist Kondome zu benutzen, sie sterben an Aids, weil ihnen eingeredet wird, dass die schulmedizinischen Medikamente des Teufels sind und sie lediglich durch einen tiefen Glauben zum Herrn geheilt werden könnten.
Insgesamt kann es eigentlich nie schaden, die Verantwortung für das eigene Leben oder das gesamte Land gen Himmel abzugeben. Auch wenn die Misere offenkundig auf menschliches Versagen zurückzuführen ist, setzt selbst der Präsident – der selbstverständlich die rechte Hand von Christus höchstpersönlich ist – vertrauensvoll auf Hilfe von oben. Als sich der Kwacha Mitte Oktober in freiem Fall befand, die Inflation auf 20% kletterte und der Staatsbankrott vor der Tür stand, erklärte das Staatoberhaupt den 18. Oktober zum nationalen Gebetstag zur Rettung der Wirtschaft. Während Südkorea als Antwort auf eine Rezession pragmatisch die 6-Tage-Woche einführt, fordert die sambische Regierung die Menschen auf, ihre Arbeit ruhen zu lassen, in die Kirchen zu strömen und Gott um ein Wirtschaftswunder zu bitten.
Die Steuerpflicht verachtend, tragen die Menschen ihr Geld anstatt dessen säckeweise in die Gemeinden. Selbst die ärmsten der Armen kramen Sonntagmorgens einen aus Europa gespendeten, vom großen Bruder vererbten, an den Schultern viel zu breiten und an den Ellbogen durchgescheuerten Anzug aus dem (nicht vorhandenen) Schrank, um den sich am Mund abgesparten Zehnten barfuß zur Kirche zu tragen. Doch dort, wo die individuelle Entbehrung für die vermeintliche Gemeinschaft am größten ist, wird am wenigsten danach gefragt, welche Summen eigentlich in welche Töpfe bzw. Taschen fließen.
Die meisten Erweckungsbewegungen haben neben der Evangelisation natürlich auch eine starke soziale und diakonische Komponente, sodass sie oftmals Haus- und Arbeitskreise anbieten, Sport-, Musik- und Freizeitaktivitäten betreiben sowie Schulen, Kranken- und Waisenhäuser unterhalten. Doch ähnlich des intransparenten Umgangs mit Staatsfinanzen herrscht sowohl über die Einnahmen als auch über die Ausgaben religiöser Einrichtungen keinerlei Rechenschaftspflicht. Die zu allem Ja und Amen sagende Bevölkerung stellt weder die Entscheidungsbefugnis, noch die Begründung der Investitionen oder die Ressourcenverteilung infrage. Wo der Staat in den vergangenen 50 Jahren versagt hatte, wäre es an den Kirchen gewesen weniger Moralapostel zu sein und endlich ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Doch welche Glaubensgemeinschaft würde schon das Risiko eingehen sich langfristig selbst abzuschaffen, indem sie in die Bildung ihrer Mitglieder, insbesondere in die Fähigkeit zum kritischen Denken, investiert und damit ideologischen Suizid begeht.
„Wenn ich groß bin will ich Pastor werden!“ Während der Traumberuf amerikanischer Kinder Astronaut ist, führt der sambische Weg zu schnellem Wohlstand und gesellschaftlicher Anerkennung über die Kanzel. Es ist sogar vollkommen legitim, wenn Pastoren schicke Hütten bauen, dicke Autos fahren und zum Shoppen nach Paris fliegen, denn sie wurden schließlich von Gott in ihr Amt eingesetzt um seinen Auftrag zur erfüllen und werden im Gegenzug offensichtlich reihenweise mit materiellen Gaben gesegnet. Im Unterschied zu Staatsdienern herrscht ein bedingungsloses Vertrauen gegenüber Pastoren und Gemeindeältesten. Inwiefern Kirchenmitarbeiter tatsächlich von aufrichtigen christlichen Werten geleitet werden oder ob die allgemeine Selbstbedienungsmentalität auch den Kirchenetat betrifft, bleibt jedoch ungeprüft. Für die religiösen Unternehmer geht die Rechnung auf: Mit einem Mix aus Religion, Wohlstandsversprechen und Entertainment wird aus der Perspektivlosigkeit von Millionen von Menschen Profit geschlagen.
Die Staatskasse ist leer, die Klingelbeutel sind voll.
Wie die Menschen einerseits dennoch die Erwartungshaltung an den Staat haben, er solle doch bitte – selbstverständlich ohne die eigenen Steuergelder – die Entwicklung des Landes vorantreiben und gleichzeitig den Kirchen unter dem göttlichen Schutzmantel einen Freifahrtschein für die Veruntreuung von Geldern ausstellen, entzieht sich jeglicher Logik.
Hallo Thamy, der Inhalt dieses Beitrags kann schon sehr deprimierend stimmen, andererseits finde ich ihn aber auch sehr einseitig. Auch wenn so gehandelt wird von deren Kirchenoberhäuptern, wird doch sicherlich nicht alles so negativ und schlecht sein oder?! Wenn man das Thema etwas differenzierter beleuchten würde gäbe es bestimmt auch vieles erfreuliches zu berichten, oder etwa wirklich nicht ?!? Nun ja, ich kann dazu nichts konkretes agen, dafür habe ich keinen ausreichenden Einblick. Aber wo es Schatten gibt, da gibt es doch bestimmt auch Licht …
Liebe Grüße Hartmut
Lieber Hartmut,
erstmal danke fuer dein Feedback! Genial, dass mein Post eine Kontroverse ausloest! 🙂
Ja, absolut!!! Natuerlich gibt es ganz viele Kirchen, die Schulen unterhalten, sich um Waisenkinder kuemmern, eine kostenlose medizinische Grundversorgung anbietet und ganz viele andere wichtige Funktionen in der Gesellschaft einnehmen – vor allem dort, wo der Staat versagt!!!
Das will ich auch gar nicht in Frage stellen oder herunterspielen!!!
Mir ist nur im Laufe der Zeit aufgefallen, dass im Prinzip ALLES, was unter der Flagge des Christentums geschieht in Ordnung ist und in glaeubigen Kreisen ueberhaupt nichts in Frage gestellt oder kritisiert wird. Deshalb war es mir ein Anliegen, eben auch mal die andere Seite der Medaille zu beleuchten.
Aber klar, es ist „ein Kommentar“ und kein objektiver „Bericht“. Journalistisch gesehen waere das die Kategorie „Meinung“ und ist deshalb per Definition „einseitig“! 😉
In meinen Augen spiegelt der Post trotzdem die ueberwiegende Tendenz des Kirchen- und Glaeubigenverhaltens wider.
Am Anfang hatte ich nur so ein Gefuehl und meine eigenen Gedanken zu dem Thema, dann habe ich angefangen zu recherchieren und ueber Prediger gelesen, die sich – ungelogen (!) – einen Privatjet (!) nach dem anderen kaufen… Erschreckend! Und in Europa spenden gutmuetige Menschen (ihr!) mit der naiven Ueberzeugung, dass in Afrika hungernden Kindern geholfen wird…